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Roggen, der Überlebenskünstler
Der Roggen bildet mit wenig Blattmasse, mit schmalen Blättern und viel Halm sogar auf armen Böden viel Substanz. Sein Bezug zu Licht und Luft ist intensiv.
Roggen braucht als Fremdbefruchter unbedingt Blütenstaub von Nachbarpflanzen. Ein Staubbeutel entlässt bis zu 19‘000 Pollen-körner, eine Ähre ca. 6 Millionen.
Der Roggen ist Weltmeister im Überleben. Walliser Landsorten überstehen auf 1900 m ü.M. problemlos eine geschlossene Schneedecke von sieben Monaten. Dazu kommt seine erstaunliche Fähigkeit den Boden intensiv zu durchwurzeln. Das Wurzelsystem einer stark bestockten Pflanze erreicht eine Gesamtlänge von 80‘000 m.
Für die Bildung der Körner ist Roggen stärker auf die Assimilationstätigkeit des Stengels angewiesen als die anderen Getreidearten.
Roggen macht sich im Vergleich zu den anderen Getreidearten wenig aus Kälte. Er keimt bei tieferen Temperaturen als Weizen oder Gerste. Sehr deutlich zeigt sich das an den Anbaugrenzen der Wintergetreideformen. Winterhafer gedeiht hauptsächlich an der Atlantikküste, wo auch im Winter das Gras noch grün ist. Die Wintergerste wagt sich schon in die Haupttäler der Alpen hinein, der Winterweizen dringt gar bis in die Seitentäler vor, aber der Winterroggen schafft es bis zur Anbaugrenze. Man vermutet, dass die Bedeutung von Winterroggen zunahm, als während einer Klimaverschlechterung der Anteil an Roggen in den Feldern durch natürliche Selektion automatisch zunahm und so das Überleben ermöglichte. Ursprünglich gehörte der Roggen nicht zu den Hauptgetreidearten. In den frühesten Getreidefunden sind nur vereinzelt Roggenkörner anzutreffen.
Zur Ruhe kommt der Roggen kaum, sobald das Korn reif ist, möchte es auch schon wieder keimen. Weizen und in noch ausgeprägterem Masse Gerste kennen eine Phase der Keimruhe. Die Gefahr des Auswuchses, des Keimens auf der Ähre, ist beim Roggen am grössten. Im Falle von Auswuchs eignet Roggen sich nicht mehr für die Brotherstellung. Solche Brote sind klitschig und ungeniessbar. Als Schrot oder für Pumpernickel kann man ihn aber noch verwenden. In der Regel wird ausgewachsener Roggen als Futtergetreide verwertet.
Die Sommerroggensorten der Grenzlagen halten zusammen mit einer sechszeiligen Sommergerstensorte den Rekord der kürzesten Vegetationszeit. Die Strategien beider Pflanzen sind aber total verschieden. Der Roggen verzichtet 'auf Substanzbildung' die Gerste 'auf die Blüte' (siehe Gerste). Die Roggenpflanzen der Grenzlagen sehen aus wie Wildpflanzen, schmächtig und kleinkörnig. Es ist verständlich, weshalb der Getreidebau in diesen Lagen zuerst aufgegeben wurde.
Durch seine offene Blühweise ist der Roggen besonders anfällig für Mutterkorn. Das Mutterkorn gleicht einem übergrossen schwarzen Roggenkorn. Es ist der Fruchtkörper eines Pilzes. Besonders bei nasskalter Witterung zieht sich die Befruchtung hin und bleiben die Blüten länger geöffnet. Gerade dann haben die Pilzsporen ihre Chance, keimen in der Blüte und nützen die Samenbildungskräfte aus. Der Name Mutterkorn weist auf seine medizinische Verwendung hin. Das Gift des Mutterkornes hemmt die Durchblutung des peripheren Gewebes. Früher hat man es als Heilmittel bei zu starken Blutungen während der Geburt eingesetzt, von daher der Name Mutterkorn.
Abb. 1: Die Spelzen sind recht schmal, die Körner kaum bedeckt. Sie fallen bei der Ernte leicht aus den Ähren heraus.
Abb. 2: Der Tiroler Sommerroggen neigt sich ganz, der kanadische Nackthafer nur die Rispenästchen.