Familienfilm (1942-1948)
"Familienfilm", der den Alltag der Bozner Arztfamilie Röggla in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren 1942 bis 1948 dokumentiert:
Teil 1 "Ein Tag in unserm Heim": "Unsere Stadt": Bozen Anfang der 1940er Jahre (Stadtimpressionen, Alltagsleben), "Unser Haus": Hausarbeiten, Rasieren, Frühstücken, "Es geht zur Arbeit": ins Convitto S. Maria - "Operation": 2 Operationen (Unterbauchoperation, Gallenblasenentfernung, mit Äthertropfnarkose), "Währenddessen …": Mutter auf dem Weg in die Stadt mit Großvater, Mutter beim Einkaufen auf dem Obstmarkt, "Am Nachmittag": Mutter beim Nähen, Vater beim Lesen der "Dolomiten", Sohn (Franz Röggla) beim Lernen fürs Studium, Fahrradfahren durch die Stadt, "Großvater und Großmutter": Großvater beim Lesen der "Alpenzeitung", Großmutter beim Flicken, "Auch ein guter Kaffe kann nicht schaden": Großvater beim Kaffeetrinken, mit Großmutter, "Gespräch über die letzten Ereignisse": Großvater und Großmutter beim Zeitunglesen, "Auf zum Spaziergang" : Großvater auf dem Weg zum Plonerhof oberhalb St. Magdalena, "Der Abendliche Alltag": "Ein kleiner Ausschnitt, mit Kunstlicht gedreht, Jan. 1943": Vater beim abendlichen Zigarrerauchen, Lesen eines Briefes, Telefonieren, Mutter bei Hausarbeit, Vater bei Marende, Hausmädchen beim Kochen, Abendessen, "Jetzt noch eine Zigarre, und dann …": Vater beim Zigarrerauchen und einem Glas Wein, Mutter im Gespräch mit Hausmädchen, Vater in Gesellschaft, Hausmädchen und Mutter beim Geschirrtrocknen, im Wohnzimmer, "Ende des ersten Teils".
Teil 2: 50. Geburtstag des Vaters (1943), Großvater Leopold Neumann im Rollstuhl,
"Junge Freunde": Besuch eines Jugendfreundes in Gries (Ziehorgelspielen), "Die Familie bei einem Ausflug": nach Jenesien (mit Seilbahn) - "Das Mittagssschläfle": auf einer Wiese, Kegelspielen - "Heimkehr", Spazierausflug bei Jenesien, Besuch des kleinen Weinhofs in Gries, Fronleichnamsprozession 1943 in Jenesien, "In Campiglio" (Madonna di Campiglio) - "Kleiner Tratsch" - "Auf Tour …": in den Bergen - "… und auf Futtersuche": Wanderung zur Malga Palù della fava (um Butter zu kaufen), "Abreise": mit Bus, "Ende" | zudem: Ausflug mit der alten Grödner Dampfbahn nach Lajen im Sommer 1943, Wanderausflug aufs Rittner Horn, Militärleben in Florenz (Alltagsleben in der Kaserne).
Teil 3: Sommer 1943 in Madonna di Campiglio (Wanderungen zum Malghette See, zur Tuckett-Hütte in den Brentadolomiten, Klettertour auf den Castelletto), Nachricht von der Verhaftung Mussolinis durch den König (25.7.1943), Abreise, Flucht vor Bombenangriffen aus Bozen (Zusammenpacken in großen Holzkisten), Weihnachten 1943 in der "Villa Profunser" oberhalb von Klobenstein, Winter und Sommer 1944 auf dem Ritten, nach Kriegsende: Fahrt mit Fiat Millecento über die Mendel nach Madonna di Campiglio (zum Hotel in Familienbesitz), Frühlingswanderung mit dem Zug nach Terlan, Frühlingswanderung mit dem Zug nach Terlan und Einkehr im Gasthaus in Andrian, Wahlwerbung in Bozen anläßlich der ersten Parlamentswahl in Italien nach dem Krieg.
"Erklärungen zum 8 mm. „Familienfilm“ aus den Jahren 1942 bis 1948"
von Dr. Franz Röggla (1922-2017):
"Es war Krieg. An der Ostfront starben ununterbrochen auf beiden Seiten unzählige Soldaten – die Tragödie von Stalingrad bahnte sich an und tausende unschuldiger Menschen wurden gleichzeitig täglich in den Gaskammern ermordet. Doch über das letztere grauenhafte Geschehen erfuhren wir erst die furchtbaren Einzelheiten nach dem Krieg – da von den Nazis alles streng und unter Drohung der Todesstrage geheim gehalten worden war. Und in Deutschland versanken die Städte in Schutt und Asche durch die gewaltigen, tags und nachts durchgeführten anglo-amerikanischen Bombenangriffe.
Doch wir in Südtirol – es hatten immer noch die faschistischen Machthaber das Sagen in unserem Lande, mindestens bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht im September 1943, ab welchem Datum sich hierzulande alles änderte – spürten vom Krieg fast überhaupt nichts. Nachts gab es zwar die vollkommene Verdunkelung und der private Autoverkehr war strengstens verboten – die Straßen, abgesehen von ein paar klapprigen Taxis, waren so zu sagen „autofrei“.
Zu essen gab’s zwar offiziell wenig – alles war rationiert und nur mit Lebensmittelkarten erhältlich – mit Ausnahme von Obst und Gemüse, das in unserem Lande ja reichlich vorhanden war. In unserer Familie gab es kaum Einschränkungen: Durch den Beruf meines Vaters erhielten wir von seinen „Bauernpatienten“ immer wieder genügend Butter, Speck, Eier und gelegentlich auch Fleisch. Dank der reichlichen Vorräte im Hotel von Madonna di Campiglio hatten wir immer erstklassigen schottischen Whisky, französischen Cognac und Sekt und auch Kaffee und Tee und Lebensmittelkonserven, die im Handel schon lange nicht mehr erhältlich waren. Es gab bei uns auch fast täglich mittags und hauptsächlich abends Einladungen, meistens von Kollegen oder Bekannten, die sehr gerne kamen und sich „verwöhnen“ ließen, was meine Mutter als Hotelierstochter wunderbar konnte.
Nicht umsonst sprach man in diesen Kreisen von der „Röggla-Bar“!!
Etwa Mitte 1942 kaufte mein Vater (auf meinen Rat) eine damals im Handel befindliche 8 millimeter Filmkamera deutscher Produktion, eine Ware, welche wie auch die dazu gehörenden Filme aus Devisengründen ohne weiteres ins Ausland exportiert werden durften, während sie im „Reich“ schon längst nicht mehr erhältlich waren. Auch die neueste Agfa Farbfilme konnte man kaufen, die übrigens technisch ausgezeichnet waren. Die jeweilige Entwicklung erfolgte dann durch die Agfa Filiale in Mailand.
Ich hatte damals die Idee, einen sogenannten „Familienfilm“ über unseren Alltag zu drehen. Erfahrung hatte ich kaum, aber die Begeisterung war groß!
Der tägliche Ablauf – vom Frühstück und Hausputz bis zum Rasieren und Zeitunglesen, die von den Faschisten „großzügig“ erlaubten und 3 mal wöchentlich erscheinen dürfenden „Dolomiten“ mit dem leider nicht hörbaren Kommentar von meinem Vater – alles schien mir interessant genug. Dann der tägliche Gang meines Vaters zum gegenüber gelegenen „Marieninternat“ (heute Marienklinik) mit den technisch ausgezeichnet gelungenen Farbaufnahmen von einer Unterbauchoperation und einer Gallenblasenentfernung mit der damals selbstverständlichen „Äthertropfnarkose“ (an eine Anästhesie im heutigen Sinne konnte man damals ja nicht einmal träume!). Man muß allerdings wissen, daß das sogenannte „Marieninternat“ zur Kaiserzeit tatsächlich ein Internat für Schülerinnen der „gehobenen“ Klasse aus dem ländlichen Raum war, damit diese in Bozen zur Schule gehen konnten. Etwa Mitte der dreißiger Jahre (das Schülerheim war schon längst geschlossen) und in Anbetracht der Tatsache, daß in den öffentlichen Krankenhäusern nur Italiener und kein einziger südtiroler Arzt angestellt werden durfte, gründeten einige entschlossene Ärzte, dort eine Art Privatklinik mit operativen Möglichkeiten, was ja von den Faschisten damals zumindest geduldet worden war.
Und dieses Marieninternat war gleichzeitig mit dem „Grieserhof“ der Arztfamilie Rössler die einzigen medizinischen Einrichtungen, in denen südtiroler Ärzte ungestört arbeiten durften.
Doch abgesehen vom reinen Familiengeschehen, sind mir einige ganz interessante, leider zu kurze Aufnahmen von der Stadt Bozen gelungen, mit der Pfarrkirche, Walterplatz (damals piazza Vittorio Emanuele, selbstverständlich ohne Waltherdenkmal, das von den Faschisten schon einige Jahre vorher entfernt worden war). Man sieht die alte Straßenbahn und die damals vom Waltherplatz aus startende Rittner (Zahnrad) Bahn. Auffällig die zwei zur Faschistenzeit immer obligatorisch patroullierenden Carabinieri mit ihrem klassischen „Napoleonhut“. Es hatten immer zwei sein müssen – böse italienische Zungen meinten spöttisch dazu: …… eh, sai, … perchè uno sa leggere e l’altro scrivere …
Dann kommen allzuhäufig die üblichen – heute gesehen vielleicht etwas „pimpfigen“ Familienszenen – mit Essen, Trinken und Vaters meist abendlichem Zigarrenrauchen. Früher war er ein starker Zigarettenraucher, doch als er irgendwann Herzbeschwerden bekam, riet man ihm von „ärztlicher“ Seite und sozusagen aus „Alibifunktion“ gelegentlich zu einer guten Zigarre zu greifen, was er auch gerne und reichlich tat(!). Er trank übrigens nur den üblichen Vernatsch Tischwein, Cognac oder Ähnliches lehnte er ab. Ich sah ihn niemals betrunken, obwohl er täglich, besonders abends, reichlich Wein trank. Während die sehr oft anwesenden Kollegen vom Whisky oder Ähnlichem meist stock besoffen waren, griff er, wenn er die Wirkung vom Alkohol allmählich zu spüren begann, seelenruhig zur kohlensäurehaltigen „Syphonflasche“ und trank diese fast leer. Kurz darauf fühlte er sich wieder stocknüchtern und trank gemütlich weiter, während die anderen Anwesenden Gäste schon fast unter dem Tisch lagen.
Selbstverständlich durften auch Szenen mit den damals noch lebenden Großeltern Röggla nicht fehlen. Ich fahre dabei mit dem Rad (man sieht mich dabei sogar den „Torpedo-Zweigang“ schalten) über die autofreie Talferbrücke und die staubige Quirainerstraße zum Haus Nr. 11 (in welchem heute die beiden Töchter meines allzu früh verstorbenen Sohne Max zusammen mit ihrer Mutter wohnen). Was vielleicht zeitgeschichtlich ganz interessant sein könnte: Man sieht die Scheinwerferlampe meines Fahrrades mit einer schwarzen Hülle überzogen, in welcher nur ein 1 cm breiter Schlitz etwas Licht durchlassen konnte. Das war in der Verdunkelungszeit staatliches Gesetz und galt natürlich auch für die wenigen noch zirkulierenden Autos.
Es kommen nun reichlich Szenen mit Großvater Franz Röggla aus Tramin und Großmutter Katharina Kleinsasser aus Spittal in Kärnten. Der alte Röggla war mit seinen fast 80 Jahren immer noch sehr sportlich und wanderte fast täglich den steilen Weg zum Peter Plonerhof oberhalb St. Magdalena hinauf.
Dann sehen wir Aufnahmen von der 50. Geburtstagsfeier vom Vater im Juni 1943 („der Letzte bürgerliche“ – wie er damals etwas spöttisch aber vorausahnend bemerkte). Unter den gratulierenden Gästen Dr. Roland Köllensperger, der grieser Gemeindearzt mit Frau, man sieht auch unseren treuen „Hausfreund“, den Kinderarzt Dr. Flederbacher. Sekt gab’s in rauen Mengen und selbstverständlich auch die besten Süßspeisen – mitten im mörderischen Krieg, als ob noch tiefster Friede gewesen wäre!
Anschließend die einzigen Aufnahmen vom alten Opapa Leopold Neumann, der von schwerster Arthrose befallen nur mehr im Rollstuhl sitzen konnte. Er wird von meinem Vetter Kurt Michler (den man nur ganz kurz sieht) herausgeschoben. Seine Tochter Martha Michler ist ebenfalls anwesend. Es folgen kurze Aufnahmen von einem Besuch bei meinem Jugendfreund Franz Compioj in Gries mit gemeinsamen „Ziachorgelspielen“, was damals zur allgemeinen Unterhaltung üblich war, denn CD players hat es ja noch lange keine gegeben – höchstens einen durch Hand aufziehbaren Koffer-Grammophon mit 2 Minuten-Schellack Platten und ständigem obligatorischem Nadelwechsel. Dann noch Szenen von Ausflügen nach Jenesien und Umgebung: Es ist erstaunlich, wie unsportlich besonders die Frauen daher „hatschten“.
Geschichtlich am interessantesten dürften wohl die Farbaufnahmen von der Fronleichnamsprozession 1943 in Jenesien sein: Während die Frauen alle in ihrer hübschen Tirolertracht auftreten durften, sieht man die Männer der Musikkapelle nur in Zivilkleidung. Die männlichen Tirolertrachten waren von den Faschisten strengstens verboten worden – bei den Damen aber, da waren die Italiener wie immer sehr großzügig und drückten beide Augen zu. Auch sieht man beiderseits vom Altar je einen Carabiniere stehen, was gesetzlich vorgeschrieben und sicher nicht politisch aufzufassen war, sondern eher als Würdigung der christlichen Zeremonie im streng katholischen Land Italien, in welchem auch die fanatischen Faschisten zum Unterschied von Deutschland demütig in die Kirche gingen.
Es folgen unter Anderem auch Szenen von unseren kleinen Weinhof (Lagrein!) in Gries mit dem aus dem Trentino stammenden Landarbeiter Mario Mazzurana. Auch Großvater Röggla ist zu sehen, der ja fast jeden Tag dorthin wanderte und als erfahrener Landwirt Mario seine gut gemeinten Ratschläge gab. Das Höfl habe ich dann nach dem Krieg leider weit unter seinem Wert verkauft.
Wiederum Campiglio: Vater und ich wandern zur Malga Palù della fava unter dem Carlomagnopaß, zu einem bekannten Bauer, um Butter zu kaufen (1943 nichts Seltenes!). Es ist lustig zu zusehen, wie mein Vater ihm eifrig erklärt, dass man bei den Steinpilzen die grünen Röhrenpolster unbedingt wieder in den Wald werfen soll, denn da sind ja die Samen drin! Der Bauer hat ihm höflich zugehört – im Grunde dürfte ihm das aber so ziemlich egal gewesen sein.
Nach kurzen Aufnahmen von einer Wanderung auf das Rittner Horn sieht man nun geschichtlich sehr interessante Szenen aus meinem Militärleben in Florenz. Ich wurde im März 1943 dort einberufen: Das komische aber daran war, daß die Faschistenregierung in Rom verfügt hatte, daß alle Medizinstudenten im 2. Jahr in eine Kaserne ihres Studienortes einberufen werden sollten, um dort nach einer gediegenen militärischen Ausbildung täglich die Klinikvorlesungen besuchen zu können. Und das mitten im wildesten Krieg, kurz nach Stalingrad! Da hat sicher ein „figlio di papà“ irgend eines Faschistenbonzen in Rom nachgeholfen.
Nun, wie man sieht, war es ein urgemütliches, typisch italienisches Kasernenleben in einer alten, abgewrackten Fabriksanlage, (Wanzen und Flöhe hat es reichlich gegeben, aber die störten uns nicht besonders und wurden gelegentlich auch mit der üblichen Blausäure „entsorgt). Der Capitano, die Tenenti und Sergenti waren alles ausgesprochen liebenswürdige, warmherzige Menschen, wie es eben nur Italiener sein können.
Von militärischem Drill, etwa nach „teutschem Muster“, nicht die geringste Spur! Die sogenannte militärische „Ausbildung“ bestand ausschließlich in täglichen, gemütlichen Spaziermärschen. Die Kollegen, alles Medizinstudenten, benahmen sich denkbar lustig und fröhlich – ich spielte Ziechorgel und die Soldaten tanzten fröhlich dazu. Man braucht nur die lotterigen Uniformen an zu schauen um zu begreifen, was das italienische Militär eigentlich für ein armseliger Haufen war. Aber das Beste kommt noch. Nach drei Monaten, im Mai 1943, kam von Rom aus der Befehl, daß wir allesamt zum Weiterstudium vom Militärdienst entlassen werden sollten. Entlassen wohlgemerkt, nicht nur beurlaubt!!! Und das mitten im schrecklichsten Krieg. So etwas konnte nur in Italien passieren. Nun, wir fuhren gemütlich heim, die Bahnen funktionierten noch tadellos und pünktlich, Bombenangriffe wie in Deutschland gab es noch keine. Wir waren zwar alle am Kopf glattrasiert wegen angeblicher Läuse, die wir nie gehabt hatten.
Die Nachfolgenden Szenen war wieder ein gemütlicher, friedlicher Sommer 1943 mit Papa und Mama, leider der Allerletzte! Sehr schöne Wanderungen auf den Malghette See und auf die berühmte Tucketthütte (die ja kriegsbedingt geschlossen war) und den wunderbaren Tuckett Gletscher, der heute durch die Klima Erwärmung vollkommen verschwunden ist. Ich klettere mit Bergführer Bruno Dallagiacomo (zum zweiten Mal) auf den Castelletto oberhalb der Hütte, eine immerhin 300 Meter hohe Felswand. Das erste Mal bin ich zusammen mit meinem Vetter Kurt im Alter von 14 Jahren unter Führung der beiden Dallagiacomas hinaufgeklettert.
Das politisch interessanteste Ereignis war wohl am 25. Juli die plötzliche Nachricht von der Verhaftung Mussolinis durch den König. Die Meranerin Frau Spitz, eine gemütliche Quatschtante, die vor dem Krieg einen kleinen Wäscheladen im Sommer betrieben hatte, überbrachte uns ganz aufgeregt die neue Nachricht und man sieht die bedenkliche Miene von meinem Vater ob dieser geschichtlich bedeutenden Meldung. Dann hatte der Sommeraufenthalt bald ein Ende und man sah die vollgepackte uralte „Corriera“, welche täglich nur einmal die Strecke Trient – Campiglio fuhr, rauchend die Straße nach Pinzolo fahren.
Nun aber wurde es ernst. Im August heulten plötzlich die Luftschutzsirenen, man hörte deutlich die Motoren eines riesigen amerikanischen Bombengeschwaders von Süditalien auf dem Weg nach Deutschland: Bomben wurden bei uns keine abgeworfen, aber für Vater war es ein klares Signal, aus Bozen zu flüchten. In aller Eile wurden große Holzkisten bestellt und man sieht, wie meine Mutter und ihre Freundin Burgi Heidegger (Witwe des margreider Gemeindearztes, die ihren einzigen Sohn im Jahre 1941 an der Finnlandfront verloren hatte) unter Anderem das kostbare Porzellangeschirr verpacken und verstauen, das dann in diesen Riesenkisten mit der Rittner Zahnradbahn nach Klobenstein transportiert wurde.
Mein Vater begleitete das Ganze fröhlich singend und Gitarre spielend!! Er hatte eben noch Humor.
Der Sommer 1943 war übrigens trotz Allem noch ziemlich erfreulich. Ich filmte einen Ausflug mit der alten grödner Dampfbahn nach Lajen. Die Aufnahmen vom schnaufenden Dampfroß sind einmalig! Bald nach dem Krieg wurde die Bahn aus dem Kriegsjahr 1916 endgültig eingestellt und die Trasse „autogerecht“ verbreitert.
Man sieht nun einige Aufnahmen von der sogenannten „Villa Profunser“, ein ganz bescheidenes Häusl oberhalb Klobenstein, ohne fließendes Wasser(!), das ein altes Rentnerpaar mit viel Fleiß und bescheidensten Mitteln mühsam aufgebaut hatte. Die winzige Wohnung im ersten Stock hatten wir zur „Kriegsflucht“ gemietet. Das Wasser mußte man auch im Winter von einem kleinen Zigglbrunnen im Garten heraufholen. Man sieht dann einige Szene von einer „noch bürgerlichen“ Weihnachtsfeier – auf Bozen hat es bereits viele Bombenangriffe gegeben. Ich war damals bei einer deutschen Dienststelle in Sirmione als Dolmetscher verpflichtet und gerade auf Urlaub. Dann noch weitere Aufnahmen mit der Familie Profunser während der Sommerzeit 1944.
Im Mai 1945 war dann der Krieg endlich zu Ende. Vater konnte wieder mit seinem Fiat Millecento aus dem Jahr 1937 herumfahren, und ich hatte ebenfalls einen, noch bei einer reichsdeutschen Dienststelle in Peschiera erworbenen Führerschein. Wir fuhren im Sommer wieder über die Mendel nach Campiglio, wo uns der alte Toni Dallagiacoma mit seiner Tochter Ernestina herzlich begrüßten. Toni war in den Kriegsjahren unser „Aufpasser“ im Hotel, damit nichts geplündert werden konnte. Das Grand Hotel war übrigens bereits von einer englischen „New Zealand Army“ beschlagnahmt, nachdem die deutsche Wehrmacht „pflichtgemäß“ verschwunden war.
Der Aufenthalt in Campiglio war sehr kurz – meinem Vater ging es nicht mehr sehr gut, er hatte schon die ersten Lähmungserscheinungen gehabt – wenige Monate später, am 1. Jänner 1946, starb er.
Nach Vaters Tod, im Jahre 1948, filmte ich noch eine Frühlingswanderung (Mutter und Burgi Heidegger, die immer noch bei uns wohnte, da sie ja keine Heimat mehr hatte), mit dem Zug nach Terlan und ich später dann mit dem Fahrrad) nach Andrian.
Sehenswert ist der Zug der ital. Eisenbahn mit den damaligen uralten Elektro-Zugmaschinen. Dann das übliche Mittagessen im Gasthaus, das wir übrigens selbst mitbringen durften – die Zeiten waren damals etwas lockerer. Und dazu reichlich neugierige Dorfkinder als Zuschauer! Auch Roland Köllensperger mit Frau besuchten uns später.
Die allerletzten Aufnahmen drehte ich zur ersten großen Parlamentswahl in Italien, wo der schlitzohrige trentiner Nationalist Degasperi das Volk vor dem sowjetischen Kommunismus mit Erfolg warnte und in welchen auch erstmals unsere südtiroler Volkspartei öffentlich für die Heimat werben durfte, was in der italienischen sogenannten „Nachfaschistenzeit“ gar nicht so selbstverständlich war.
Damit endet dieser Film: Es war eine eher aufregende, nicht besonders gemütliche Zeit, obwohl es uns persönlich als Familie alles eher als schlecht gegangen war!!
Geschrieben im April 2013.
- Denominazione oggetto:
- Filmaufnahme
- Numero d'inventario:
- 004224
- Autore:
- Röggla, Franz
- Collezione:
- ZAV071-Franz Röggla
- Data:
- 1942 - 1948
- Luogo raffigurato:
- Bolzano, San Genesio Atesino, Madonna di Campiglio, Trentino, Firenze, Renon, Passo della Mendola, Terlano, Andriano
- Tecnica:
- filmato (positivo, pellicola normale 8 mm)
- Istituzione:
- Archivio audiovisivo di storia contemporanea
- Dimensioni:
- lunghezza 90 min
- Parola chiave:
- Famiglia, Familienleben, Familienchronik, Familienalltag, Alltagsleben, Guerra, Zweiter Weltkrieg, Kriegsalltag, Dopoguerra, Stadtleben, Stadtimpressionen, Straßenbahn, Medico, Arztfamilie, Klinik, Clinica, Chirurg, Intervento, Hausfrau, Hausarbeit, Mercato, Einkaufen, Tempo libero, Freizeitaktivitäten, Leggere, Giornale, Bicicletta, Fahradfahren, Spaziergang, Spazierausflug, Geburtstag, Geburtstagsfeier, Familienfeier, Familienausflug, Funivia, Escursionismo, Gita a piedi, Wanderausflug, Bergtour, Alpinismo 2, Klettertour, Ristorante, Wirtshaus, Weingut, Fattoria, Agricoltura, Prozession, Religione, Usanza, Tradition, Hotel, Urlaubsort, Sommer, Sommeraufenthalt, Malga, Almwirtschaft, Almhütte, Rifugio, Bus, Ferrovia, Dampflokomotive, Convoglio, Treno, Mobilità, Öffentlicher Personennahverkehr, Esercito, Militärleben, Caserma, Soldaten, Formazione professionale, Servizio militare, Servizio di leva, Bombardamento 2, Fuga, Festa del Natale, Weihnachtsfeier, Inverno, Winterlandschaft, Winterimpressionen, Auto, Autofahrt, Passstraße, Primavera, Frühlingsimpressionen, Landschaftsimpressionen, Politica, Elezioni, Pubblicità elettorale
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