Chronik 1945/46
1945
- 27. April
- In Österreich konstituiert sich die
provisorische Staatsregierung unter Staatskanzler
Karl Renner. Sie proklamiert die
Wiederherstellung der Republik Österreich.
Benito Mussolini wird von Partisanen am
Comer See festgenommen und am Tag darauf
erschossen.
- 8. Mai
- Bedingungslose Kapitulation der
deutschen Wehrmacht und Ende des Zweiten
Weltkrieges in Europa. In Italien kapitulieren
die deutschen Streitkräfte schon am 2.
Mai. Am 8. Mai wird in Bozen die Südtiroler
Volkspartei (SVP) gegründet.
- 12. Mai
- Bruno De Angelis wird von den
Alliierten als Präfekt von Bozen eingesetzt.
Als Stellvertreter werden Visco Gilardi und
Walther Amonn bestellt.
- 23. Mai
- Karl Gruber wird von der US-Besatzungsmacht
als Landeshauptmann von
Tirol bestätigt und offiziell anerkannt.
- 11. Juli
- In einer italienischen Regierungserklärung
wird den Südtirolern die Gleichstellung
der deutschen Sprache sowie eine
deutschsprachige Schule zugesichert.
- 4. September
- Großkundgebung für Südtirol
in Innsbruck mit über 30.000 Teilnehmern.
Die französische Besatzungsmacht
sorgt für ein Maximum an Publizität und
spricht sich für eine Rückgliederung Südtirols
an Österreich aus. Karl Gruber übermittelt
den Staatschefs und Außenministern
der USA, Großbritanniens, der Sowjetunion
und Frankreichs die Bitte, den Südtirolern
die Möglichkeit einer Wiedervereinigung
mit Österreich zu geben.
- 11. September bis 2. Oktober
- Außenministerkonferenz
der Großmächte in London.
Eine Rückkehr Südtirols zu Österreich
wird von keiner Seite vorgeschlagen. Die
Außenminister entscheiden sich für die
Beibehaltung der Brennergrenze. US-Außenminister
James Francis Byrnes legt die
Zusatzformel vor, in der die Grenze Österreichs
mit Italien „unverändert bleibt, mit
der Ausnahme, jeden Fall zu hören, den Österreich
für kleinere Grenzberichtigungen
(’Minor rectifications‘) zu seinen Gunsten
vorbringt“. Von dieser Position gehen
die Großmächte in der Folge nicht mehr
ab.
- 27. Oktober
- Per Gesetzesdekret genehmigt
Italien deutsche Schulen in Südtirol.
- 10. Dezember
- Alcide Degasperi löst Ferruccio
Parri als Ministerpräsident ab und
behält die Leitung des Außenministeriums
bis zum 17. Oktober 1946 bei. Degasperi gilt
als Vertrauensmann der USA.
1946
- 4. März
- Der britische Außenminister Ernest
Bevin beendet die interne Diskussion
über die Südtirolfrage in seinem Ministerium
und entscheidet für Italien, obwohl
Österreich die „besseren Argumente“ habe.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Standpunkt
Großbritanniens in Bezug auf Südtirol
nicht klar.
- 22. April
- Großkundgebung für die Wiedervereinigung
Südtirols mit Österreich
in Innsbruck. Dabei werden dem österreichischen
Bundeskanzler Leopold Figl
155.000 Unterschriften übergeben, die in
Südtirol und in Österreich unter den Südtirol-
Optanten gesammelt worden waren.
- 26. April
- Im US-Außenministerium wird
die endgültige Entscheidung getroffen,
dass die Grenze zwischen Österreich und
Italien unverändert bleiben soll.
- 1. Mai
- Die Grundsatzentscheidung der
Außenministerkonferenz vom September/Oktober 1945 wird bestätigt. Südtirol bleibt
bei Italien, eine Volksabstimmung wird
abgelehnt, einzig „kleinere Grenzberichtigungen“
werden ins Auge gefasst. Die Bekanntgabe
des Beschlusses des Außenministerrates
ruft in Tirol einen Proteststreik
und Demonstrationen hervor.
- 30. Mai
- Außenminister Gruber und der
Delegierte Italiens, Botschafter Graf Niccolò
Carandini, legen den Alliierten die
Auffassungen ihrer Regierungen über die
Grenzziehung zwischen Österreich und
Italien dar. Gruber trägt – ohne Absprache
mit den Südtirolern – die Forderung nach
einer kleineren Grenzberichtigung, der so
genannten Pustertallösung, vor. Gleichzeitig
wird eine Rechtsverwahrung hinsichtlich
der Selbstbestimmung für Südtirol
eingebracht.
- 24. Juni
- Der Außenministerrat lehnt die
Pustertallösung als kleinere Grenzberichtigung
ab.
- 30. Juni
- Landesweit finden in
Nord- und Südtirol Herz-Jesu-Prozessionen statt. Dabei wird für
das Selbstbestimmungsrecht demonstriert.
- 29. Juli bis 15. Oktober
- In Paris beginnt
die permanente Tagung der Friedenskonferenz.
Die Konferenz arbeitet die Friedensverträge
mit Italien, Finnland, Bulgarien, Rumänien
und Ungarn aus. Die von der Moskauer
Außenministerkonferenz vorgeschlagenen
Vertragsentwürfe beinhalten in Bezug auf
Südtirol den freien Güter- und Personenverkehr
zwischen Nord- und Südtirol.
- 7. August
- Die SVP gibt die Losung für die
Südtiroler Delegation in Paris, Friedl Volgger
und Otto von Guggenberg, aus. Sollte
die Forderung nach Volksabstimmung nicht
durchsetzbar sein, werden als Alternativen
die Internationalisierung (Südtirol unter
internationaler Kontrolle), die so genannte
Liechtensteinlösung und erst dann die Autonomie
festgelegt.
- 5. September
- Außenminister Gruber
ist bereit, die Nennung des territorialen
Geltungsbereichs der Autonomie offenzulassen.
Er bittet Botschafter Carandini,
das Gleiche zu tun, und nicht direkt auf
die Vereinigung der beiden Provinzen Bozen
und Trient hinzuweisen: Damit ist der
Weg für die Unterzeichnung der Vereinbarung
zwischen Alcide Degasperi und Karl
Gruber in der italienischen Gesandtschaft
geebnet, die als „Pariser Abkommen“ im
Artikel 10 Bestandteil des italienischen
Friedensvertrags wird. Ergänzt wurde das
Abkommen durch einen Briefwechsel zwischen
Degasperi und Gruber vom selben
Tag. In der Antwort des Ministerpräsidenten
heißt es, dass die italienische Regierung
bereit sein werde, alle Vorschläge der
österreichischen Regierung genau zu prüfen
(„give careful attention“), die auf die
beste Lösung der in Artikel 10 sowie der im
Text der Vereinbarung enthaltenen Punkte
abzielen.