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Strukturelle Veränderung der Gletscher: Erhöhte Vorsicht bei Begehung
Vertreter der Agentur für Bevölkerungsschutz haben heute (22. Juli) mit der Führungsebene der Bergvereine in einer Bewertungskonferenz die Situation im Hochgebirge bezüglich Besteigung analysiert.
Die Gletscher schrumpfen immer schneller: Durch strukturelle Veränderungen sind auch die Aufstiegsrouten einem ständigen Wandel unterworfen. "Wir nehmen sehr positiv eine verstärkte Sensibilität in der Bevölkerung wahr, aufgrund welcher wir in den vergangenen Tagen verstärkt Hinweise erhalten haben, dass sich die Gletscherlandschaft wegen der hohen Temperaturen verändert", berichtete der Direktor der Agentur für Bevölkerungsschutz Klaus Unterweger: "Um diesen Hinweisen auf den Grund gehen zu können, habe ich eine Bewertungskonferenz einberufen, zu der ich auch die Experten der alpinen Vereinigungen eingeladen habe."
Der Warnlagebericht bildet das gesamte Territorium ab, in den vergangenen und kommenden Tagen weist das Gefährdungspotential für extreme Temperaturen in den Talsohlen die Warnstufe Rot auf, auch im Hochgebirge steigen die Temperaturen an, die Nullgradgrenze ist auf über 4000 Meter Meereshöhe angestiegen, fasste der Direktor des Landeswarnzentrums Willigis Gallmetzer zusammen.
Die Direktorin des Landesamtes für Meteorologie und Lawinenwarnung Michela Munari bestätigte dies und gab ein Bild der Situation: "Die Nullgradgrenze liegt derzeit auf 4600 Metern über dem Meeresspiegel, seit Mai war es hochsommerlich heiß mit wenigen Ausnahmen; in den nächsten Tagen bleibt es unverändert, erst ab Dienstag ist ein geringer Temperaturrückgang in Sicht, die Nullgradgrenze wird sich dann um die 4000 Meter über dem Meeresspiegel bewegen."
Durch diese langanhaltenden klimatischen Verhältnisse mit außergewöhnlich hohen Temperaturen und dem Anstieg der Nullgradgrenze können sich auf den Gletschern nicht vorhersehbare strukturelle Veränderungen ausbilden, die sehr schwierig zu erfassen sind", erläuterte der stellvertretende Direktor des Landesamtes für Hydrologie und Stauanlagen Jürgen Schäfer.
Informationen bei Experten vor Ort einholen
Aufgrund der klimatischen Bedingungen verändern sich die gewohnten Aufstiegsrouten, es können sich Spalten in den Gletschern öffnen, Alternativrouten sind noch nicht klar. Die Situation auf den Gletschern und im Gelände kann sich von einem Tag auf den anderen anders darstellen. Es braucht jedoch Zeit, um festzustellen, welche Punkte gefährlich sind und welche nicht.
Derzeit seien zwei Situationen im Auge zu behalten, unterstrich der Direktor des Landesamtes für Geologie und Baustoffprüfung Volkmar Mair, einerseits die extrem hohen Temperaturen, die über lange Zeit anhalten und bei hohen Wänden zu Problem führen, weil das Eis abschmilzt und mit Steinschlag zu rechnen ist. Auf vielen Gletschern gibt es keinen Firn mehr, sondern Blankeis, dies bedeutet, dass das Wasser schnell abfließt und verschwindet und zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt zu Wasserdruck führen kann. Bei Gewittern ist sowieso angeraten, sich von Gerinnen fernzuhalten. Bei diesen Temperaturen ist es auch ratsam, sich von steilen Wänden fernzuhalten. Es gilt, Alternativrouten zu nehmen und sich nicht an vor Jahren gedruckte und deshalb überholte Wanderführer zu halten. Wer Touren plant, sollte sich unbedingt an Hinweise und Ratschläge von Bergführern, Hüttenwirten oder Tourismusvereinen vor Ort halten, da diese Experten die einzigen sind, die die Situation über den ganzen Sommer im Auge behalten und die aktuelle Situation vor Ort vernünftig einschätzen können. Es genügt nicht, sich nur im Internet zu informieren.
Es sei derzeit ein Anstieg an Einsätzen zu verzeichnen, der sich aber im normalen Rahmen bewege, fasste der Landesleiter der Bergrettung im AVS Ernst Winkler zusammen. Das Abschmelzen der Gletscher sei besorgniserregend, unterstrich der Präsident der italienischen Bergrettung (Corpo Nazionale Soccorso Alpino e Speleologico CNSAS) Giorgio Gajer, höchste Vorsicht sei anzuraten, wie sie auch die Bergretter-Kollegen in anderen Provinzen anwenden.
Der Berg sei unberechenbar, hoben der Präsident des Club Alpino Italiano CAI Alto Adige-Südtirol Carlo Alberto Zanella und sein Stellvertreter Claudio Sartori hervor, einzelne Abschnitte zu sperren, sei nicht sinnvoll, vielmehr sei eine vertiefte Vorbereitung durch Beratung mit Experten vor Ort anzuraten. Auch der Direktor des Funktionsbereichs Tourismus Hansjörg Haller wiederholte, Bewusstseinsbildung sei wichtig, Sperrungen hingegen seien nicht zielführend.
Darauf verwies auch der Geschäftsführer des Alpenverein Südtirol AVS Gislar Sulzenbacher: Der Berg sei ein Gefahrenmoment, ein Restrisiko bestehe immer. Die Ausrüstung müsse angemessen sein, Sonnenschutz und ausreichend Getränke seien immer mitzuführen. Man könne nicht überall Warnfahnen aufstellen, um auf Gefahren hinzuweisen.
Eigenverantwortung und Risikobewusstsein steigern
"Da der Grad der Veränderungen im hochalpinen Bereich durch die außergewöhnlich hohen Temperaturen teilweise nicht oder nur schwer abschätzbar ist, ruft der Bevölkerungsschutz bei der Begehung von Gletschern oder gewisser Routen zu erhöhter Vorsicht auf", unterstreicht der Direktor der Agentur für Bevölkerungsschutz Klaus Unterweger: "Wir appellieren deshalb als gemeinsames Fazit dieser heutigen Bewertungskonferenz an die Eigenverantwortung aller, äußerste Vorsicht auch bei großer Erfahrung walten zu lassen und sich im Vorfeld gut bei Experten vor Ort zu informieren und entsprechend auszurüsten.“
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LPA/mac