Archivale des Monats
Ein Blick in das Rechnungsbuch der Bozner Kleinkinderbewahranstalt im Jahr 1919
Die „Kleinkinderbewahranstalt der Stadt Bozen“ war 1847 der erste Kindergarten im südlichen Teil Tirols. Seine Vorbilder waren Kinderbetreuungseinrichtungen, die bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in stärker industrialisierten Staaten Europas aufgrund der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen aus ärmeren Schichten und dem dadurch gestiegenen Bedarf an Kinderbetreuung entstanden waren. Ein fünfzehnköpfiges Komitee von bürgerlichen und adligen Bozner Frauen hatte den Kindergarten gegründet, die Barmherzigen Schwestern aus Zams und Geistliche übernahmen die Betreuung der Kinder.
In den ersten Jahren lebte die Einrichtung ausschließlich von Spenden lokaler Wohltäter. Durch das Testament der Wilhelmine Kofler geborene Grätzl erhielten sowohl der Kindergarten als auch der Bozner Armenfonds ab 1866 eine gesicherte finanzielle Basis in Form einer Stiftung. 1872 zog die Kleinkinderbewahranstalt in ein Haus in der Hintergasse (Vintlerstraße), da die frühere Unterkunft aufgrund der großen Nachfrage zu klein geworden war.
Aus dem Rechnungsbuch der Kleinkinderbewahranstalt Bozen für das Jahr 1919 ist ersichtlich, dass Spenden eine nach wie vor wichtige Einnahmequelle für den durch ein Frauenkomitee geführten Kindergarten darstellten. Es handelte sich dabei sowohl um spontan getätigte kleinere Zuwendungen, um kleinere und größere Legate aus Vermächtnissen, um kleine Summen für die Begleitung von Leichenbegängnissen oder um Spenden von Institutionen, z. B. von Geldinstituten. Zu den Wohltätern des Kindergartens zählte im März 1919 auch General Giuseppe Battistoni, der Kommandeur der 26. Division, mit einer Zuwendung von 3000 Kronen und im Juni 1919 spendete das italienische Kommando 500 Kronen anlässlich der Verfassungsfeier, der „Festa dell’Unità d’Italia e dello Statuto del Regno“, ein Feiertag, der von 1861 bis 1946 jeweils am ersten Sonntag im Juni zelebriert wurde.
Das Vorstandskomitee führte den Kindergarten auch in den Jahren des aufkommenden Faschismus weiter und konnte mehrere Jahre lang eine Übernahme durch die „Opera Nazionale di Assistenza all’Italia Redenta“ (O.N.A.I.R.) verhindern, auch wenn die Kontrolle durch die italienischen Behörden akzeptiert werden musste. 1932 aber wurde die Wilhelmine-von-Kofler-Grätzl’sche-Stiftung aufgelöst und das Vermögen auf Kindergarten und Armenfonds aufgeteilt, etwas später wurde auch das Frauenkomitee vom Bozner Präfekten aufgelöst.
Nach Ende des Weltkriegs und Abschluss des Wiederaufbaus des bei Bombenangriffen schwer beschädigten Gebäudes wurde der Kindergarten 1947/48 wieder eröffnet, der nach wie vor existiert und heute von der Gemeinde Bozen geführt wird.
ep
PT
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