Archivale des Monats

Chaos am Kriegsende – Rückzug der österreichisch-ungarischen Armee

Sammlung Helene Oberleiter, Nr. 1393

Ende Oktober 1918 zeichnete sich die militärische Niederlage Österreich-Ungarns bereits deutlich ab, es mangelte an Nahrungsmitteln und Rohstoffen, in einigen Truppenteilen kam es zu Meutereien. Zugleich kam auch das Vielvölkerreich an sein Ende, am 28. Oktober etwa erklärte sich die Tschechoslowakische Republik für unabhängig, der staatliche Zerfall der Habsburgermonarchie war in der Folge nicht mehr aufzuhalten.
Die politische Situation war in diesen entscheidenden Tagen ebenso verworren wie die Lage an der Südwestfront. Als die k. und k. Unterhändler nach längerem Zögern und widersprüchlichen Anweisungen der Heeresleitung und der Zentralstellen am 3. November schließlich den Waffenstillstand und die Kapitulation unterzeichneten und noch für denselben Tag die Einstellung der Kampfhandlungen durch die österreichischen Truppen erteilten, war dies das Fanal zu chaotischer Auflösung und zu einem ungeordneten Rückzug. Da der Waffenstillstandsvertrag erst 24 Stunden später in Kraft trat, konnten die italienischen und alliierten Truppen 380.000 österreichisch-ungarische Soldaten gefangen nehmen.
Jene Kompanien aber, die nicht in Gefangenschaft gerieten, machten sich unverzüglich auf den Rückweg in die Heimat, Tausende Soldaten strömten so vor allem entlang der Brennerroute durch Südtirol Richtung Norden. Zwar stehen auf dem Bild aus dem November 1918, das österreichisches Militär am Bozner Waltherplatz zeigt, Zivilpersonen scheinbar friedlich neben Soldaten; da aber die reguläre Versorgung der Truppen längst nicht mehr funktionierte, brach des Öfteren Chaos aus. Wo die zurückflutenden Truppen durchzogen, waren Plünderungen und Übergriffe an der Tagesordnung. Alle Schulen waren daher bis auf weiteres geschlossen, die Bevölkerung sollte vor allem abends das Haus nicht verlassen und es wurde vor der Hantierung mit der zahlreich in den Straßen umherliegender Munition und Kampfmitteln gewarnt. Das „Bozner Tagblatt“ schreibt am 6. November: „Greuel und Verwüstung sind jetzt die Merkmale der Tage.“ Am 7. November berichtete dasselbe Blatt bereits über den Einmarsch der ersten italienischen Truppen in Bozen und die Erleichterung der Bevölkerung über das Ende der unkontrollierten Ausschreitungen.
Damit begann ein neues Kapitel in der Geschichte Südtirols, das ein knappes Jahr später, im September 1919, durch den Vertrag von Saint-Germain auch staatsrechtlich zum Königreich Italien geschlagen wurde.

ep

PT

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