Archivale des Monats

Der Wolf in Tirol

Verfachbuch Niedervintl, Nr. 50, 1704-1707, fol. 57v

Einer der am häufigsten benutzten Archivbestände im Südtiroler Landesarchiv sind die Verfachbücher, d. h. die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden Gerichtsbücher, in die in chronologischer Reihenfolge der Erledigung alle vor Tiroler Gerichten verhandelten Angelegenheiten (Straf- und Zivilprozesse, freiwillige Gerichtsbarkeit) eingetragen wurden. Im 17. Jahrhundert verengt sich die Funktion der Verfachbücher zunehmend auf die freiwillige Gerichtsbarkeit, d. h. auf Verlassenschafts- und Vormundschaftsabhandlungen, vor allem das Errichten von Verträgen über Rechtsgeschäfte von Privatpersonen, aus denen u. a. die Besitzveränderungen und Besitzübergänge eines Hauses, Hofes oder einer anderen Liegenschaft hervorgehen. Die Verfachbücher sind also die Vorläufer des Grundbuches und neben Steuerkataster und Pfarrmatrikeln die wichtigste Quelle für das Erstellen einer Familien-, Haus- und Hofchronik.
Über ihren Aussagewert als Verwaltungsakten geben die Verfachbücher auch vielfältige Einblicke in die Rechts-, Sozial-, Wirtschafts- und Alltagsgeschichte. Ein Beispiel mit Aktualitätsbezug aus dem Verfachbuch von Niedervintl anno 1704 mag dies verdeutlichen. In dem auf folio 57v beginnenden „Besitz Einsatz- und Entrichts Vertrag“, also einer Besitzübertragung, von dem verstorbenen Val[en]tin Hueber, Letterbauer aus Pfunders, auf seine nachgelassenen Kinder Margareth, Maria und Georg, erfährt man nicht nur alles Wissenswerte über den Umfang des Vermögens, die Schulden, die Rechte und Pflichten sowie die Bedingungen der Übernahme, sondern auch über die Umstände des Ablebens des Erblassers, und zwar heißt es dazu:

„Nachdeme vor etlich Jarn der ersamb Valtin Hueber seiner letsten Lebenszeit gewesten Leters in Pfunders Gerichts Nidervintl sessig gewest seligen, welcher neben anndern Nachpern mer, Welf zu suechen gangen und er sich alzuhoch in den Gebürg auf ainen Schroffen begeben, das sodann mit ime ain Schnee Laan angangen, so er darunter khomen und andurch sein Leben ennden miessen […]“

Ins Nhd. übertragen heißt das, dass Hueber gemeinsam mit anderen Pfunderer Gemeindegenossen offenbar zur Winterszeit auf Wolfsjagd gegangen war, dabei habe er sich in eine Felswand (= Schroffen) begeben und eine Lawine ausgelöst, unter der er zu Tode gekommen sei.
Diese kurze Textpassage vermittelt uns auch einen Einblick in das Jagdwesen dieser Zeit. Grundsätzlich war die Jagd seit jeher ein Recht der Freien, sie war aber gleichzeitig auch immer wieder, bes. seit dem 15. Jh. Einschränkungen und Verboten unterworfen. Diese Restriktionen inkludieren sowohl die Jagd auf die sogenannten nützlichen Wildtiere wie Rot- und Schwarzwild oder Vögel als auch jene auf Raubtiere wie Bär, Luchs und Wolf, wenngleich Letztere als schädlich erachtet wurden, weil sie nicht nur die genannten Wildtiere, sondern auch Haus- und Nutztiere, im Extremfall gar den Menschen anfallen konnten. Daher wurden vom Landesfürsten Ausnahmen von den strengen Jagdgesetzen bewilligt. Die Ultner besaßen z. B. einen solchen Freibrief für die Jagd auf Bären und Wolf.
Die gesetzliche Grundlage für eine praktische Handhabe der Wolfsjagd, auf die sich auch unser verstorbene Letterbauer stützen konnte, bildete schließlich die Tiroler Landesordnung von 1573; dort heißt es im Buch 4, Tit. 15:

„Die Vnderthanen muegen (so Sy vngeuaerlich auf jren Guetern / Woelff / Beeren vnd Lüchs gewar wurden / oder an schaden befunden) dieselben Fellen vnd Erlegen […]“

Der Flurname „Wolfsgrube“ erinnert noch an die Zeit der aus opportunen Gründen obrigkeitlich gesteuerten Wolfsentnahme, als der Tiroler Obristjägermeister, Fortunat von Wolkenstein-Rodenegg, in einem Mandat 1621 an geeigneten Plätzen solche Gruben errichten ließ. Über die Wolfspopulation in Tirol schreibt Johann Jakob Staffler 1839 in seiner Landesbeschreibung:

„Der Wolf (Canis lupus), noch schädlicher und grausamer als der Bär, da er sich nur vom Fleische nährt, hat, wie dieser seinen Aufenthalt in den nördlichen und südlichen Schluchten, und vorzüglich im Thale Matsch, die Heimath der Wölfe genannt, in Valsugana und auf dem Nonsberge. Im strengen Winter kommen diese heißhungrigen Thiere nicht selten auf einen überraschenden Besuch bis an die Wohnungen der Menschen, und – würgen den Haushund oder ein anderes unverwahrtes Stück Vieh. Doch zum Glück erscheinen sie in Tirol fast nie in größerer Gesellschaft.“

Für die Erlegung eines Wolfes zahlte der Staat damals 25 Gulden, für die Erlegung einer Wölfin 30 Gulden.
1852 soll der Wolf hierzulande ausgerottet gewesen sein, nur noch einmal 1864 in Mareit und ein weiteres Mal 1896 in Villnöß wurden jeweils ein Exemplar gesichtet und erlegt.
Der Wolf ist nun nicht nur wieder leibhaftig in unserem Land präsent, sondern auch weiterhin in einigen Tiroler Personen-, Haus- und Flurnamen. Man denke beispielsweise an die milites von Telfes mit dem Beinamen Wolf, die zur Dienstmannschaft der Welfsberg gehörten und auf Wolfsthurn (Mareit) saßen. Auch in der lokalen Kunsttopographie sind Reminiszenzen an den Wolf zu finden: In den Sommerfrischehäusern Braitenberg und Amonn auf dem Ritten sind unter den Dekorationen unter anderem ein Wolf mit einem Schaf im Maul sowie eine Wolfsjagd aus dem 18. Jahrhundert dargestellt. Auf Schloss Velthurns finden wir hingegen eine Treibjagd auf Wölfe aus dem Jahr 1583.

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