Archivale des Monats
Oktober 1919 – Die Amtsgeschäfte laufen vorerst weiter …
Viele österreichische Beamte hatten im Herbst 1918 noch vor dem Eintreffen der italienischen Truppen ihre Posten verlassen, kurz nach der militärischen Besetzung Südtirols wurden namentlich politisch einflussreiche Beamte aus dem Dienst entlassen. Doch insgesamt war in den meisten Behörden – zumindest bis zur Machtübernahme durch die Faschisten – bei der Beamtenschaft eine relativ große Kontinuität festzustellen. Sowohl die Regierung in Rom als auch General Pecori Giraldi, der Leiter der Militärverwaltung in Südtirol, forderten bei eventuellen Amtsenthebungen ein besonnenes Vorgehen. Noch im Dezember 1918 ordnete er an, dass alle öffentlichen Bediensteten, die der Militärverwaltung unterstanden, auf ihren Posten verbleiben sollten, wofür er von Ettore Tolomei heftige Kritik erntete. Die staatlichen Verwaltungsstellen und das Militärkommando gingen in dieser Frage uneinheitlich vor. Vermutlich ohne Wissen des Generals wurden etwa bei den Eisenbahnen zahlreiche Angestellte und Arbeiter entlassen, viele andere, die aus verschiedenen Gebieten der Habsburgermonarchie stammten, verließen freiwillig das Land und kehrten in ihre Heimat zurück, sodass es beim lokalen Personal der Ferrovie dello Stato zu einem großen Wechsel kam. Als im Juli 1919 die Militär- durch eine Zivilverwaltung abgelöst wurde, folgte unter dem neuen Generalzivilkommissar für die Venezia Tridentina, Luigi Credaro, zunächst keine einschneidende Veränderung im Beamtenapparat. Sowohl Credaro als auch Francesco Salata, der Leiter des Zentralamtes für die Neuen Provinzen, respektierten die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols, auch blieb die österreichische Gesetzgebung bis zur endgültigen Annexion des Landes in Kraft. Dass viele vormals habsburgische Amtsträger ihrer Tätigkeit weiter nachgingen und viele amtliche Schriftstücke auch weiterhin in der deutschen Kurrentschrift geschrieben wurden – sofern sie nicht bereits auf Schreibmaschine getippt wurden – zeigt ein Blick in das Verfachbuch des Bezirksgerichtes Glurns. Verfachbücher – die Vorläufer des Grundbuches – waren bei Gericht geführte Bücher, in die in chronologischer Reihenfolge vor allem Kauf-, Tausch- oder Schenkungsverträge um Liegenschaften, Erbschaftssachen, Schuldverschreibungen usw. aufgenommen wurden. Während in den meisten Teilen der Habsburgermonarchie die oft von den Grund- und Gerichtsherren geführten Gerichts- und Gültbücher bald vom Grundbuch abgelöst worden waren, verharrte man in Tirol noch lange beim unübersichtlichen Verfachbuchsystem. In Meran wurde 1902 das erste Grundbuch des Landes eröffnet, in Bozen 1911, in anderen Teilen des Landes wurden in den folgenden Jahren Grundbücher angelegt. Doch nach wie vor gab es 1918/19 etliche Gerichtsbezirke, in denen Verfachbücher geführt wurden, so etwa das Bezirksgericht Glurns, zu dem der gesamte obere Vinschgau gehörte. Eine Vermögensteilung zwischen vier Geschwistern wurde dort im Oktober 1919 vom Landgerichtsrat Preindlsberger und dem Offizial Walch abgewickelt. Während noch bis zur Mitte des Jahres 1919 österreichische Stempelmarken verwendet wurden, findet man auf den Verträgen der zweiten Jahreshälfte bereits die italienischen „Marche da bollo“; einige Kaufverträge wurden außerdem eigens vom Generalkommissariat für die Venezia Tridentina gesichtet und mittels Stempel und Unterschrift genehmigt. Während also in den ersten Jahren nach Kriegsende ein großer Teil der öffentlich Bediensteten in ihrer Funktion belassen wurde, änderte sich dies kurz nach der Machtübernahme durch Mussolini, ab dem Frühjahr 1923 und in den darauffolgenden Jahren wurde ein großer Teil der Südtiroler Beamtenschaft schrittweise entlassen.
ep
PT
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