Aktuelles

Europa-Tagung zur Rolle der Regionen bringt Erkenntnisse

Die wissenschaftliche Tagung, die sich der Rolle und den Herausforderungen der europäischen Regionen widmete, ist am frühen Nachmittag zu Ende gegangen.

Der Innenhof-Saal im Landhaus 1 während der Europa-Tagung. Foto: LPA/mb

Am heutigen frühen Nachmittag ist die wissenschaftliche Tagung „Integration oder Desintegration? Neue Herausforderungen der Regionen in Europa“ zu Ende gegangen. „Es konnten, wie es das Ziel war, eine Reihe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gewonnen werden“, sagte der Leiter der Konferenz und Professor am Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck, Walter Obwexer. „Diese sind ganz überwiegend den renommierten Referenten und der fächerübergreifenden Herangehensweise zu verdanken.“

Der Historiker Michael Gehler von der Universität Hildesheim beleuchtete die Entwicklung der Regionen in Europa aus historischer Perspektive und kam zum Schluss, dass menschliche Gemeinschaften – Stadt, Region, Nation, Union – eine Tendenz zu Zusammenarbeit und fortschreitender Integration erkennen lassen. Der Weg der Integration war aber nie linear, sondern stets auch von Desintegration begleitet. Auf eine Welle der Zentralisierung folgte meist eine Renationalisierung. Aus dieser historischen Perspektive wagte er die Prognose, dass die europäische Integration auch die gegenwärtige Krise überwinden und weitergehen werde.

Die an der Universität Innsbruck forschende Staatsrechtlerin Anna Gamper befasste sich mit dem Thema Regionalismus und Sezession. Sie stellte als Ergebnis eingehender Untersuchungen fest, dass die Verfassungen der meisten Staaten ein Abspalten einzelner Regionen (Sezession) nicht erlauben, sondern vielmehr die Einheit des Staates verbindlich vorschreiben. Nur wenige Verfassungen sehen ein Sezessionsrecht ausdrücklich vor. Die diesbezüglich geäußerte Vermutung, dass dadurch Abspaltungen von Staatsteilen erleichtert würden, lasse sich allerdings nicht belegen. An den Beispielen Schottland und Katalonien stellte sie unterschiedliche Modelle – Erlaubnismodell in Großbritannien und Ablehnungsmodell in Spanien – gegenüber.

Die aus Südtirol stammende Verfassungsrechtlerin Esther Happacher zeichnete die innerstaatlichen Entwicklungen in Italien nach. Als Ergebnis hielt sie fest, dass die Verfassungsordnung Italiens einen asymmetrischen Regionalismus beinhalte (Regionen mit Normalstatut und Regionen mit Sonderstatut), um die Jahrtausendwende eine markante Regionalisierung erfolgt sei, die in den nachfolgenden Jahren jedoch schrittweise wieder zurückgenommen wurde. Die Mitgliedschaft Italiens in der Europäischen Union habe nicht nur für den Staat, sondern auch für die Regionen und die Autonomen Provinzen zusätzliche Schranken in Gesetzgebung und Verwaltung gebracht. Gleichzeitig seien aber auch neue Möglichkeiten der Mitwirkung an der Rechtsetzung in der EU und bei der innerstaatlichen Vollziehung von Unionsrecht entstanden. Diese gelte es noch besser zu nutzen.

Der aus Deutschland angereiste Europarechtler Matthias Niedobitek skizzierte die geltenden rechtlichen Grundlagen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa. Besondere Bedeutung komme diesbezüglich dem Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) zu. Dieser sei zwar eine supranationale juristische Person, stoße bei der Erfüllung konkreter Aufgaben aber an seine Grenzen. Deshalb habe Luxemburg während seiner EU-Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, eine neue Verordnung der EU auf den Weg zu bringen, die einen besseren Rechtsrahmen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit schaffen und den Regionen die Möglichkeit eröffnen soll, für konkrete Projekte mittels eigener Konventionen „mini Rechtsordnungen“ zu schaffen. Die Realisierung dieses Vorschlages stoße allerdings auf beträchtliche Widerstände und sei daher eher nicht zu erwarten.

Der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck prüfte die Kooperationsform „EVTZ“ auf ihre rechtliche Tragfähigkeit. Dabei gelangte er zum Schluss, dass die EVTZ-Verordnung der EU die Gründung funktionaler Regionen erlaube und damit eine konkrete Chance für grenzüberschreitende Zusammenarbeit eröffne. Allerdings seien bestimmte Hindernisse nicht zu leugnen. Dazu zählen insbesondere die Beschränkung auf Aufgaben im Zuständigkeitsbereich der Mitglieder und der Ausschluss hoheitlicher Aufgaben. Die Rechtsgrundlage würde andererseits eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit erlauben. Das noch vorhandene Potential solle möglichst zeitnah genutzt werden.

Jens Woelk von der Universität Trient befasste sich mit dem Zusammenspiel von grenzüberschreitender Zusammenarbeit und Minderheitenschutz. Er betonte, dass Minderheitensituationen einen Anreiz für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit liefern könnten und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auch Minderheitenkonflikte zu befrieden vermöge. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sei aber kein ausschließliches und spezifisches Minderheitenschutzinstrument.

Der aus Deutschland stammende Ökonom Lars Feld stellte – untermauert mit konkreten Zahlen – fest, dass die Regionen nicht Schuld an der Schuldenkrise seien. Vielmehr lasse sich nachweisen, dass in dezentralisierten Staaten und in Föderalstaaten eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit leichter erzielt werden könne als in Zentralstaaten. Dies spreche aus ökonomischer Sicht grundsätzlich für eine Dezentralisierung von Staaten.

Reiner Eichenberger von der Universität Fribourg befasste sich eingehend mit den Effizienzgewinnen regionaler Kooperation und kam zum Ergebnis, dass Europa unbedingt eine weitergehende Regionalisierung brauche, weil nur diese – bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, insbesondere effizienter Strukturen – es erlaube, auf Wanderungsbewegungen und externe Schocks wie die Wirtschaftskrise rasch und nachhaltig zu reagieren. Grenzen seien aus seiner Sicht nicht primär Barrieren, sondern „Kraftwerke“ für die Entwicklung der angrenzenden Regionen.

Der Ökonom Gianfranco Cerea von der Universität Trient beleuchtete die Eigenschaften und das Potential der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino. Diese verfüge über ein Bruttoinlandsprodukt von 68 Milliarden Euro, das damit größer sei als jenes von Luxemburg und annähernd dem der Slowakei entspreche. Darin zeige sich bereits die wirtschaftliche Bedeutung dieser Region. Allgemein hielt er fest, dass die Europaregion sich durch ein homogenes Humankapital und eine gemeinsame Geschichte auszeichne, die aus wirtschaftlicher Sicht stärker wiegen würden als die mit dem Staatsvertrag von St. Germain 1919 gezogene Grenze am Brenner.

Die Politikwissenschafterin Simona Piattoni von der Universität Trient betonte die besondere Rolle der Regionen als „Vermittler“ zwischen Bürgern und Staat/Union. Diese Funktion müsse aus demokratischer Sicht weiter ausgebaut werden, zum einen über die Mitwirkung der Regionen an der Rechtsetzung, zum anderen über die Kontrolle getroffener Entscheidungen.

Der aus Südtirol stammende und an der Universität Innsbruck tätige Politikwissenschafter Günther Pallaver diagnostizierte bei der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino ein Legitimitätsdefizit, weil deren Organe nicht (direkt) gewählt würden. Dieses Defizit sollte durch politische Kommunikation ausgeglichen werden.

Sergio Fabbrini von LUISS Guido Roma analysierte die Ursachen für die Desintegrationstendenzen in der Europäischen Union, die vor wenigen Tagen im beantragten Austritt Großbritanniens („Brexit“) gipfelten. Einen möglichen Ausweg aus der Krise sah er in einem Europa mehrerer Geschwindigkeiten. Er zeigte sich überzeugt, dass eine starke EU auch eine Stärkung der Regionen erlaube, während eine schwache EU auch eine Schwächung der Regionen mit sich brächte.

In seinen abschließenden Worten wies Walter Obwexer daraufhin, dass in etwa zwei Jahren eine weitere Konferenz zum Thema geplant sei, wiederum auf Schloss Prösels, wie schon 2014.

mgp

Bildergalerie