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Hindernisfreies Bauen zum Vorteil von allen

Heute (29. Oktober) fand in der Freien Universität Bozen eine Tagung für Experten und Interessierte zum barrierefreien Bauen statt. Anhand konkreter Beispiele zeigten die Referenten, dass es besser ist, im Vorfeld barrierefrei zu planen und zu bauen, statt nachträglich Hindernisse zu beseitigen.

Luciana Fiocca, Dikrektorin des Amtes für Menschen mit Behinderung, Ulrike Rau, Referentin aus Berlin, Ute Gebert vom Amt für Menschen mit Behinderung, und Martha Stocker, Landesrätin für Gesundheit und Soziales

Unter dem Titel "Planen, Bauen für alle" fand heute an der Freien Universität eine Tagung für Architekten, Vertreter der Gemeindeverwaltungen und interessierte Personen statt, zu der das Ressort für Gesundheit und Soziales des Landes eingeladen hatte.

Gesundheitslandesrätin Martha Stocker begrüßte die zahlreich erschienen Teilnehmer und wies auf die Bedeutung des Themas der Tagung hin. "Öffentliche Gebäude und Einrichtungen müssen für alle Menschen zugänglich sein: Das Land hat kürzlich mit der Genehmigung des Gesamtplans für die Beseitigung der architektonischen Hindernisse aus allen landeseigenen Gebäuden die Grundlagen dafür gelegt", berichtete Landesrätin Stocker, "aber auch die Gemeinden müssen dieses Thema angehen. Wichtig ist dabei, dass die verschiedenen Bedürfnisse so weit wie möglich berücksichtigt werden. Dazu ist die enge Zusammenarbeit mit den Betroffenen notwendig. Auch Eltern mit Kinderwägen, ältere Menschen oder Personen, die vorübergehend beeinträchtigt sind - zum Beispiel durch einen Unfall - profitieren von diesen Maßnahmen."

Anschließend stellte Ulrike Rau aus Berlin das Konzept des "Universal Design" vor. "Es geht nicht darum, Sonderlösungen für Menschen mit Beeinträchtigungen zu finden, sondern Barrierefreiheit betrifft uns alle", erklärte Ulrike Rau, "in den nächsten Jahren wird die Zahl der Senioren konstant zunehmen, und die meisten von uns werden früher oder später selbst mit Hindernissen und Einschränkungen konfrontiert sein, mit denen wir vielleicht nicht gerechnet haben." Sie unterschied dabei zwischen sensorischen Einschränkungen (so nimmt mit zunehmendem Alter sowohl das Seh- als auch das Hörvermögen ab, wobei besonders die Farben Blau und Violett Schwierigkeiten bereiten und das Ohr höhere Tonfrequenzen nicht mehr wahrnimmt), motorischen Einschränkungen (nicht nur die allgemeine Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer nehmen ab, sondern auch das Greifen wird zunehmend schwieriger) und kognitive Einschränkungen (die auch dazu führen, dass sich ältere Menschen in neuen Umgebungen schwerer zurechtfinden). Die Idee des "Universal Design" basiert daher auf sieben Punkten oder Forderungen:
1) Breite Benutzbarkeit: Geräte, Gegenstände, Einrichtungen, Gebäude, aber auch der öffentliche Raum müssen für möglichst alle Personengruppen nutzbar sein. Daher sind verschiedene Formen der Behinderung oder Beeinträchtigung zu berücksichtigen, um Inklusion zu schaffen und möglichst niemanden auszuschließen.
2) Flexibilität in der Benutzung: Es ist darauf zu achten, dass den Benutzern eine größtmögliche Wahlmöglichkeit geboten wird. So sind beispielsweise Rampen eine gute Lösung für Rollstuhlfahrer, aber für Menschen mit Parkinsonerkrankungen sind Treppen leichter zu bewältigen, und Menschen mit Hörschwächen sind bei Aufzügen auf eine Anzeige der Stockwerke angewiesen, während für Sehbehinderte nur eine Ansage in Frage kommt. Bereits beim Bau von Wohnungen sollte darauf geachtet werden, dass möglichst viele Anpassungen an individuelle Beeinträchtigungen und Bedürfnisse möglich sind.
3) Einfache und intuitive Benutzung: Informationen sollten nach Wichtigkeit gegliedert sein. Schilder sollten auf einer Höhe von 120 bis 160 cm angebracht werden (während häufig eine Höhe von ca. 180 cm vorkommt). Symbole sollten möglichst bildlich und aussagekräftig sein, abstrakte Darstellungen gilt es dagegen zu vermeiden.
4) Sensorisch wahrnehmbare Informationen: Wenn möglich, sollten immer mindestens zwei Sinne angesprochen werden. Angaben sollten beispielsweise also sowohl hör- als auch hörbar sein. Dieser Punkt beinhaltet auch, dass auf starke Kontraste zu achten ist. So können Menschen mit einer Sehschwäche beispielsweise dunkle Lichtschalter auf einer weißen Wand leichter wahrnehmen als helle; dasselbe gilt auch für dunkle Türen in einem hellen Gang usw.
5) Fehlertoleranz und Sicherheit: Mögliche Risiken durch zufälliges oder unbeabsichtigtes Verhalten gilt es zu vermeiden. Zudem sollte auf Risiken angemessen hingewiesen werden. Alles, was der Verwendung dienlich ist, sollte am einfachsten zugänglich sein, während alles, was mit Risiken verbunden ist, möglichst schwer erreichbar sein sollte.
6) Geringer körperlicher Kraftaufwand: Jede Bedienung sollte mit dem geringsten notwendigen Kraftaufwand zu bewältigen sein. Türen sollten zum Beispiel leicht zu öffnen sein, aber zugleich so gut verschlossen sein, dass sie bei Bränden eine effiziente Barriere gegen die Ausbreitung der Flammen darstellen.
7) Erreichbarkeit und Zugänglichkeit: Eingangstüren sollten beispielsweise so konstruiert sein, dass für Rollstuhlfahrer genug Platz zum Öffnen vorhanden ist. Hohe Schwellen stellen für Eltern mit Kinderwägen, für Rollstuhlfahrer oder für Senioren mit einem Rollator unter Umständen ein Hindernis dar; dagegen orientieren sich Menschen mit einer Sehbehinderung häufig an Schwellen, weshalb sie auch nicht ganz fehlen sollten. Bei der Einrichtung und Ausstattung ist darauf zu achten, dass eine Nutzung sowohl im Stehen als auch im Sitzen möglich ist.
"Inklusion betrifft nicht nur Randgruppen", unterstrich Rau zum Abschluss ihres Vortrags, "nicht Barrierefreiheit, sondern der größtmöglicher Komfort für die größtmögliche Anzahl von Benutzern ist das Ziel."

Auch Leris Fantini, Vizepräsident des Vereins C.E.R.P.A. (Centro di Ricerca e Promozione dell'Accessibilità), richtete einen ähnlichen Appell an die Anwesenden. "Es geht in erster Linie nicht um Menschen mit einer Behinderung, sondern um Personen", so Fantini, "die gesetzlichen Bestimmungen sind nicht dazu da, um strickt und buchstabengetreu befolgt werden, sondern sie sollten dazu dienen, den gesunden Menschenverstand einzusetzen und originelle Lösungsansätze zu erarbeiten." Dabei ist es vor allem notwendig, die Betroffenen selbst in die Planung mit einzubinden und sich nicht mit herkömmlichen und vertrauten Lösungen zufrieden zu geben. Auch die Ästhetik spiele eine wichtige Rolle, hob Fantini in seinen Ausführungen hervor: Es genüge nicht, zusätzlich zu den Eingangstreppen eine Rampe zu bauen, sondern diese Umbauarbeiten sollten auch als Gelegenheit genutzt werden, um das Erscheinungsbild des gesamten Gebäudes zu verbessern, beispielsweise durch die Einplanung eines zusätzlichen Pflanzenbeetes. "Funktionalität alleine wirkt allzu oft steril und vermittelt den Eindruck eines Krankenhauses. Ästhetik und Zweckmäßigkeit müssen eine Einheit bilden", forderte Fantini.
Er wies in seinem Referat auch darauf hin, dass niedrigere Investitionskosten oft langfristig zu höheren Gesamtkosten führen, wenn zu wenig auf Barrierefreiheit geachtet wird. Zudem würde dadurch die Gesellschaft durch zusätzliche "soziale" Kosten belastet. Mit den Worten "die am schwersten zu bewältigende Hürde ist die Gleichgültigkeit", plädierte Fantini für eine engere Einbeziehung der verschiedenen Interessenträger.

Flavia Vanzetta vom Landesamt für geförderten Wohnbau stellte die Kriterien für die Gewährung von Landesbeiträgen für Anpassungsarbeiten zum Abbau von architektonischen Hindernissen vor. Das Ausmaß der Förderung ist abhängig vom Einkommen. Für Ausgaben von 2.000 bis 81.000 Euro kann um einen Beitrag angesucht werden, wobei die Anträge einzeln bewertet werden und ein Beitrag von 30 bis maximal 70 % der Kosten genehmigt werden kann.

Der Berater bei Fragen der architektonischen Hindernisse, Walter Crepaldi, und Heidi Kofler vom Landesamt für Hochbau gingen auf einzelne rechtliche Aspekte ein und stellten insbesondere das Formular vor, welches Planer ausfüllen und abgeben müssen, um die Übereinstimmung der technischen Unterlagen mit den Bestimmungen des Landes im Bereich der Barrierefreiheit zu belegen. Zudem stellten sie die Aufgaben und Zuständigkeiten der Beratungs- und Dokumentationsstelle zum Abbau architektonischer Barrieren des Landes vor, welche nicht nur alle Rechtsvorschriften sammelt sondern auch Informationen über bestehende architektonische Barrieren erhebt. Die Dienststelle ist beim Amt für Menschen mit Behinderung angesiedelt.

Zum Abschluss der Tagung wurden noch einige Positivbeispiele vorgestellt, die veranschaulichten, wie in Südtirol barrierefreie Gebäude und Wohnungen realisiert wurden.

me

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